Wein und Trüffel, Berge und Seen. Dazu die barocken Savoyerschlösser, der zweithöchste Gipfel der Alpen, in Turin die größte Sammlung altägyptischer Kunst außerhalb Ägyptens – Piemont geizt nicht mit Einzigartigkeiten und Superlativen. Die Region hat den Lago Maggiore und kleinere wunderschöne Seen (wie Mergozzosee, Ortasee), für alle, die nicht ohne Waterkant sein können. Piemont ist Weinlandschaft, Trüffeloase und Wanderparadies. Die Beliebtheit des Piemont als Reiseziel steigt nicht nur bei italienischen Besuchern – aus gutem Grund. Wer auf eigene Faust unterwegs ist, findet im Reiseführer „Piemont. Mit Ausflügen ins Aostatal“ des Michael Müller Verlags alles Wissenswerte für die Reise.
Perfekter Reiseplaner
Typisch für die Reiseführer aus dem Hause Michael Müller sind die vorangestellten Kapitel zu Hintergründen und Informationen mit ausführlichen Angaben zu Anreise, zum Unterwegssein, Übernachten, Klima und Reisezeit – mit Antworten auf die meisten Fragen, die vor der Reise aufkommen. Dazu gibt es kurze aber erschöpfende Einführungen zu Geografie, Flora und Fauna, Wirtschaft und Tourismus und schon etwas ausführlicher – einen Überblick zur Geschichte.
Natürlich müssen Sie dies alles nicht vorher lesen und können es abends vor Ort nachholen.
Eines der Highlights im Band: die ausführliche Vorstellung der piemontesischen Küche mit typischen Gerichten sortiert nach den Menüschritten und auf mehrere Seiten der piemontesischen Weine. Das hilft vor Ort in der Enoteca oder Osteria enorm und Sie müssen nicht umständlich auf Ihrem Smartphone scrollen. Die Autoren geben ausführliche Tipps für den Weinkauf vor Ort.
Leseratten wissen sicher die zahlreichen Literatur und Filmtipps zu schätzen, denn Urlaubszeit ist Lesezeit: Von Krimis über Turiner Klassiker wie Cesare Pavese, Natalia Ginzburg bis zu Partisanengeschichten und Wanderführern reicht die vielseitige Auswahl.
Piemont und Aostatal ausführlich vorgestellt
Mit der kleinen, autonomen Region Aostatal, die mit vorgestellt wird, sind es sechs Gebiete, in die die Autoren Piemont teilen: Turin und Umgebung, Westalpentäler und Cuneo, die Weingebiete Monferrato, Roero und Langhe, Osten und Südosten des Piemont mit Alessandria, Vercelli und Novara sowie den Norden mit Lago Maggiore, Ortasee und Ossolatäler. Am Ende gibt es sogar einen kleinen Wanderführer mit 9 Wanderungen nebst GPS-Kartierung und herunterladbaren Waypoint-Dateien.
Ausführlich könnte das Leitmotiv sein, dank kleiner Schrift und einspaltiger Gestaltung passt eine immense Menge an Informationen auf eine Seite. Perfekt für Individualreisende, die sich ihre Reisestationen selbst zusammenstellen.
Jedes Kapitel geht ein auf Geschichte (mir als Geschichtsfan sympathisch!), Basis-Infos wie Verkehrsmittel, Parken, Stadtführungen und Stadtrundfahrten, Fahrradverleih und ortsspezifische Tipps – in Turin die Gustotram und Turineye (Ballonfahrten). Dann folgen Adressen und Veranstaltungen und ein Stadtplan/eine Landkarte. Der Übernachtungsteil gibt zahlreiche Hoteltipps unterteilt in gehobene, mittlere und preiswerte Preisklasse, dazu Bed&Breakfasts und Hostels. Ähnlich dreistufig gestaltet (gehoben, mittlere, preiswerte) sind die Tipps zum Essen & Trinken, dazu Mittags- und Snackadressen, Pizzerien und Weingeschäfte (enoteca). Nicht zu vergessen Cafés und gelaterie. Die Shopping-Tipps und Ausgehideen für den Abend lassen keine Wünsche offen.
Geschichten & Geschichte
Eines meiner Lieblingsfeatures sind die gelb hinterlegten Hintergrundinformationen und Geschichten – es sind 53, die genau so viel erzählen, dass ich mir als Besucher ein Ort oder eine Landschaft ein wenig vertraut werden. Von Tipps zum Essen gehen, einem Weinglossar, eine Vorstellung der Turiner Literaten, Nietzsche in Turin, Gianni Agnelli, Slow Food, Don Bosco, den weißen Trüffeln aus Alba – die Autoren setzen Piemont-Anfänger schnell ins Bild und erzählen fortgeschrittenen Besuchern noch manche neue (Fontanafredda, die Walser und die Tücken Napoleons vor Bard).
Diese Texte verleihen dem informationsvollen Reiseführer Anflüge eines Reiselesebuchs.
Kritik & Kritik der Kritik
Was mir an diesem Reiseführer nicht gefällt? Ich muss überlegen. Vielleicht die oben schon erwähnte, kleine Schrift? Doch der Vergleich mit anderen Reiseführern zeigt, dass sie nicht so viel kleiner ist. Wer möglichst viel Informationen in einem Reiseführer haben will, der muss mit kleiner Schrift reisen! Immerhin lesen wir Reiseführer sowieso nur stückweise.
Vielleicht die Fotos? Im Zeitalter von Instagram, endlosem Posing und Orten mit Filtern wirken die Fotos im Buch angenehm aus der Zeit gefallen. Es sind echte Reisefotografien und keine überperfektionierten Influencerfotos.
Da ich im Piemont wohne, kommt mein Wohnort natürlich auch vor: ecco! Der Härtetest. Da ich seit mehr als fünf Jahren In Verbania lebe, ein vielleicht nicht ganz fairer Härtetest. Mindestens einen Ortsteil lassen die Autoren unerwähnt. Dass das wunderschöne alte Steinhausdörfchen Cavandone mit seinen Kastanienwäldern unterschlagen wurde, ist schade. Pizza würde ich in Pallanza nicht bei Bolongaro, sondern im Tacabutun essen. Da ist die Pizza nie gewöhnlich, nicht nur lecker, sondern überraschend fantasiereich. Die Kritik der Kritik? Es ist ein Piemont-Reiseführer und kein Lago Maggiore-Reiseführer (den hat Michael Müller auch im Programm).
Fazit: Die Autoren Sabine Becht und Sven Talaron haben einen informationsreichen, ausgezeichnet geschriebenen und recherchierten Band vorgelegt – von mir eine uneingeschränkte Kaufempfehlung.
Bibliografie
Sabine Becht, Sven Talaron: Piemont mit Ausflügen ins Aostatal Reiseführer Michael Müller Verlag: Individuell reisen mit vielen praktischen Tipps, mit Ausflügen ins Aostatal*, 5. Komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage 2018, 431 S., 19,90 €