Kunstinteressierte Piemontfans, die dazu Menschen und Orte lieben, die sich neu erfunden haben, sollten am ersten Wochenende im Juli Ameno am Ortasee besuchen. Dann verwandelt sich der idyllische Ort über dem Ortasee ganz im Norden des Piemont in einen faszinierenden Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst.
Ameno im Wandel
In Omegna am Ortasee lag einst ein berühmtes Epizentrum der italienischen Haushaltwarenindustrie: Alessi, Bialetti und Lagostino produzierten hier. Fabriken und Geschäftigkeit prägten die Region zwischen Ortasee und Lago Maggiore. Mit der Abwanderung der Produktion wurde es ruhiger in den Dörfern am Ortasee. Doch diese Ruhe und das Desinteresse erhielten Idylle und Schönheit der Dörfer.
In den 1990er Jahren kam der Schweizer Künstler Adrian Hossli nach Ameno, einem Dorf über dem Ortasee, und gründete in der Villa Pastori die Litographiewerkstatt „Stampameno“. Weitere Kollegen folgten ihm nach oder kommen zum Arbeiten nach Ameno.
Asilo Bianco – Die Kultur vergessener Orte mittels Kunst beleben
Im Jahr 2004 zogen die Künstlerin Enrica Borghi und der Autor Davide Vanotti, ihr Mann, nach Ameno. Um sich mit der Transformation des Ortes und der Region mit den Mitteln der Kunst auseinanderzusetzen gründeten die beiden 2005 die Projektplattform Asilo Bianco. In die Tat umgesetzt wurde dieses Ziel sogleich, als sie begannen, den Bewohnern Amenos ihre Ateliers zu öffnen und ihnen die eigene Arbeitsweise und dadurch zeitgenössische Kunst näher zu bringen. Das Projekt „Studi Aperti“ war geboren.
Auch die Immigranten wie eine Gruppe von Einwanderern aus dem Senegal, die in der Nähe wohnten und arbeiteten, gerieten früh ins Blickfeld der Künstler und wurden gleich im Jahr 2005 in ein Projekt eingebunden. Sich mit der Region auseinanderzusetzen heiße schließlich nicht, sich nur um das Naheliegende zu kümmern. Das Gegenteil sei der Fall, erklärt Enrica Borghi, es heiße immer auch, sich für die nationale und internationale Kultur zu interessieren, offene, aktuelle und prägnante Diskussionen/Reflexionen über aktuelle Problematiken in die Region zu bringen und so neue Perspektiven zu eröffnen. Über die zeitgenössische Kunst hinaus schaffe Asilo Bianco auch Synergien mit dem bestehenden kulturellen Erbe.
Impressionen Studi Aperti 2016 “Social Utopia”
Zuerst fallen mir die Frauen mit dem Strickzeug ins Auge. Die „Tricottine di Ameno“, Strickerinnen von Ameno, sind erst in diesem Jahr zu Künstlerinnen geworden.
Der kleine Ort wirkt ungemein geschäftig. Ich kann so schnell nicht ausmachen, wer Künstler, Tourist oder Einwohner ist. Oder Blogger, wie wir. Im Hof des Rathauses befindet sich das Museo Tornielli, einer der Ausstellungsorte, die das gesamte Jahr über geöffnet sind. Nach dem Museum statten wir fast allen der insgesamt 16 Ausstellungsorte einen Besuch ab. Oft treffen wir die Künstler selbst an, die uns etwas über ihre Motivationen erzählen. Nach und nach öffnet sich das Universum Ameno, ein faszinierendes Kaleidoskop aus Altem, Neuen, Nahem und Fernem.
Un vero e proprio spazio sociale, un luogo dove le divisioni e le distanze sfumano le lasciare spazio alla condivisione e al confronto. Si intrecciano le discipline, le persone, le idee.
Drei Tage lang ist Ameno ein Mikrokosmos voller Ausstellungen, Experimente und Erzählungen. Die Ausstellung “50+! Il grande gioco dell’industria” (50+! Das große Spiel der Industrie“) greift die produktive Vergangenheit der Region wieder auf und zeigt an 50 Objekten Momente aus der Alltagswelt der italienischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Vom ikonischen Kaffeekocher von Alessi über Martini, Barilla oder Campari Soda. Soviel ist klar: viele dieser Objekte haben ein Lebensgefühl weit über Italien hinaus geprägt.
Unter dem Stichwort „Sparkling“ präsentieren junge Künstler unter 30 ihre Werke. Giulio Maulini gehört zu den Sparkling-Künstlern, hier zeigt er sein „Nutrimento“ im Museo Tornielli.
Der junge Schweizer Moritz Hossli präsentiert seine Videoinstallation „Distance“ in der Villa Pastore.
Die römische Künstlerin Romina Bassu setzt sich in ihrer Malerei mit dem weiblichen Bestreben nach äußerer Schönheit bis hin zu ästhetischen Eingriffen auseinander.
Die künstlerischen Arbeiten von Enrica Borghi, der Gründerin von Asilo Bianco, konzentrieren sich auf die Themen Weiblichkeit und Recycling, die sie durch Installationen und Veröffentlichungen ausdrückt. Ein tolles Beispiel für ihre Kunst ist La Regina (1999), ein riesiges Ballkleid aus Plastikflaschen und Plexiglas. Für eine ähnliche Installation beginnt die Arbeit mit dem 24hoursworkshop während der diesjährigen Studiaperti 2016.
Besonders spannend finde ich die Architektur und Landschaftsplanung gewidmeten Teil der Ausstellung „Paesaggi Mirati“ („Gezielte Landschaften“), die mit spannenden Projekten aufwartet.
Schon jetzt freue ich mich und bin gespannt auf meinen nächsten Besuch in Ameno – im September zum Filmfestival Corto e Fieno.
Links
Festival für ländlichen Film Cinema Rurale Corto e Fieno