Fremde Sprachen sind der Schlüssel zu Ländern, ihren Kulturen, Menschen und ermöglichen unabhängiges Reisen. Eine Fremdsprache zu lernen ist eines der besten Gedächtnistrainings überhaupt und schenkt den Reichtum einer neuen Kultur und Literatur. Italienisch zu sprechen lässt dich großartige Opern und die Sprache der Musik verstehen. Mit einigen Tricks kannst Du auch mit wenig Zeit schnell Erfolge erringen. Aber Du brauchst Disziplin und darfst nicht nachlassen in deinen Bemühungen. Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Als Erwachsener eine neue Fremdsprache zu erlernen erfordert Geduld, Disziplin und Durchhaltevermögen. Lernen ist immer ein Ankämpfen gegen das Vergessen. Längere Lernpausen kommen bei unserem Gedächtnis gar nicht gut an. Alles nicht neu, aber trotzdem glauben viele an diese vier Mythen und scheitern auf halbem Weg.
Mythos 1: Mit diesem Programm lernst Du Italienisch im Schlaf!
Programme, Methoden und Apps versprechen uns Erfolg in 1) 30 Tagen (oder sogar 6! Tagen), 2) 3 Monaten oder 3) im Schlaf. Sie heißen Babbel, Rosetta Stone, lernen-im-schlaf.com oder Superlearning, die Methoden, die schnellen Erfolg versprechen und dabei Grammatikverzicht, Syntaxfreiheit und kein lästiges Vokabellernen meinen. Alternativ werben die Anbieter mit Schlüsselwörtern wie „nebenbei“, „im Schlaf“ (meine Lieblingsmethode ;), ohne Lehrer oder Kurs – das meint ohne viel Geld zu bezahlen.
Moderne Methoden zu kennen ist wichtig, besonders für Fremdsprachenlehrer. Kenntnisse der Neurolinguistik (dazu in Kürze mehr) und des eigenen Lerntyps bilden die Grundlage für erfolgreiches Lernen. Das Wunder, dass diese Methoden versprechen, ist die Reduktion von Zeit und Kosten, die es braucht, um eine Fremdsprache zu erlernen. Ich denke, dass die oben genannten Tugenden (Disziplin, Geduld und Durchhaltevermögen) und die eben beschriebenen Kenntnisse ausreichen, um auch als Erwachsener (aka mit wenig Zeit und keinen in der Schule zur besten Biorhythmuszeit präsentierten Lerneinheiten) eine Fremdsprache zu erlernen.
Die Apps, die ich ausprobiert habe, haben mir als alleinige Methode nie ausgereicht. Sie konnten aus meiner Sicht einen Sprachkurs gepaart mit vielen andere Maßnahmen (wie Bücher lesen, Briefe und andere Texte schreiben, mit einem Tandempartner sprechen, im Land der Zielsprache leben, arbeiten oder Reisen) nicht ersetzen. Ich lehne solche Programme, Apps und Methoden nicht ab, doch ich bin sicher, dass sie bestenfalls eine Ergänzung sein können.
Mythos 2: Einmal in Italien lernst Du die Sprache ganz von allein
Ich mache es kurz: Das ist Quatsch. Du lernst bestenfalls die Alltagssprache zu verstehen, dich einfach und grammatisch unkompliziert (Stichwort: Konjungtivverzicht!) auszudrücken. Kommunikation ist so möglich, aber es ist eine Überlebenskommunikation. Ohne die Präzision, Vielfalt und Souveränität, die deine Muttersprache dir schenkt. Oder die tiefe Kenntnis einer Sprache, die mittels vielfältiger Methoden und gründlichen Studiums und Lektüre gelernt hast.
Wer hier schon länger mitliest, erinnert sich vielleicht, dass ich an der Uni slawische Sprachen (Russisch und Polnisch) gelernt habe und meist eher in Osteuropa und Zentralasien unterwegs war. Auf meinem ersten längeren Italienaufenthalt, bei dem ich das Haus eines Freundes hütete, begegnete ich dessen Mitbewohner und dann kam – nach vielen (klimaunfreundlichen) Flügen zwischen Mailand und Berlin – was kommen musste: Ich beschloss nach Italien zu ziehen. Das Risiko war unüberschaubar, aber ich bekam einen großen Bergsee und die Alpen gratis dazu. Das gab mir den letzten Schubs für den kompletten Neuanfang.
Einmal Job und Wohnung gekündigt, hatte ich ganze drei Monate lang jeden Tag viel Zeit, zum (Umzugskartons packen und) Italienisch lernen. In Berlin fand ich eine großzügige Auswahl an Kursen und Sprachschulen vor, die mich zügig auf ein bequemes A2-Niveau brachten. Danach wurde das Angebot dünner und ich stieg auf Privatstunden um. Ich hatte Glück und traf mit Caterina aus Rom eine wunderbare und erfahrene Lehrerin, die noch dazu weder Deutsch noch Englisch sprach! Auf unserer zweiten gemeinsamen Stunde kamen wir über Gott und die Welt ins Gespräch und am Ende der Lektion wurde mir bewusst, dass ich die ganze Zeit Italienisch gesprochen hatte. Das machte mich wahnsinnig froh und gab mir einen richtigen Motivationsschub.
In Italien holte mich schnell der Alltag ein. Eingewöhnen, Häuschen und die Schwiegereltern als Nachbarn, ganz klassisch! Ich begann zu bloggen, reiste viel in Italien und unsere Familie wuchs. Mein Versuch, einen Italienischkurs zu machen, scheiterte leider schon bei der Suche. Obwohl ich von der entspannten Lektüre eines Ferranteromans noch weit entfernt war, war mein Sprachniveau bereits zu hoch für Anfängerkurse. Toleranz für schlechten Unterricht hatte ich keine mehr. Ich hatte selbst mehrere Jahre Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und lange genug Sprachunterricht genossen, um zu wissen, was mir wichtig war. Für ein systematisches Selbststudium ließen mir meine Projekte und die Familie so gut wie keine Zeit.
Im Sommer half ich einer Germanistikstudentin bei Literaturübersetzungen und entdeckte so, dass ich schon Romane lesen könnte! Gut, vielleicht eher Erzählungen von Valeria Parella, als die Neapel-Reihe von Elena Ferrante oder Texte von Italo Svevo! Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten – Literatur! Dann hatte ich wahnsinniges Glück: Ich erhielt eine Mail einer langjährigen Italienischdozentin, die in meine Nähe gezogen war und sich auf eine Deutschprüfung vorbereiten wollte. Nach einigen Treffen beschlossen wir, ein Tandem zu bilden. Ich freue mich riesig über diese Möglichkeit! Gleichzeitig kann ich mich mit ihr wunderbar über Italien und Deutschland lustig machen und wir teilen die Erfahrung in zwei Kulturen zu Hause zu sein.
Mythos 3: Sprich einfach mit Deiner Familie nur Italienisch!
Denn das sei besser als Sprachunterricht! Kennt ihr das Phänomen der neutralen Sprache? Gut, ganz ehrlich: wenn ich mit meinem Mann streite (ja, das kommt vor!), dann auf Englisch! Das spreche ich noch besser als Italienisch (weil ich es viele Jahre länger gelernt habe) und es ist für uns beide eine Fremdsprache, das verteilt die Kräfte gerechter. Das zweite Problem: Wir sprechen, um zu kommunizieren. Unser Leben ist nun mal kein Sprachunterricht. Wir wählen daher die Sprache, in der die Kommunikation am effektivsten möglich ist. Schließlich geht es um das Verstehen und da ist eine gewisse Präzision nötig. Wer erlegt sich schon selbst gern einen Maulkorb auf, und sei es nur aus fehlenden Adjektiven? Meiner Erfahrung nach ist es nicht realistisch, sich zu zwingen, in einer Sprache zu kommunizieren, die man noch erlernt. Gut, es kommt auf das Niveau an, in dem man diese beherrscht und die Ansprüche, die man an die Kommunikation hat. Mittlerweile spreche ich zu Hause viel Italienisch und nur abends, wenn ich müde bin, kommt Englisch dazu.
Sicher, es hat mir sehr geholfen, mit meinen Schwiegereltern und den anderen Verwandten Italienisch sprechen zu müssen. Aber oft empfinde ich es als Behelfskommunikation, da mir viele Wörter fehlen oder ich die korrekten Formulierungen nicht kenne. Wenn mein Gegenüber selbst nie eine Fremdsprache gelernt hat, kapituliert er oder sie leider häufig bei einer der wichtigsten Überlebenstaktiken der Kommunikation in der Fremdsprache: Umschreiben eines Wortes, das mir nicht einfällt oder ich nicht kenne. Wenn jemand das mit mir macht, startet es einen Fluss an Wortvorschlägen, um dem Taktiker aus der Patsche zu helfen und effektiv zu neuen Vokabelkenntnissen. Fremdsprachenunerfahrene kapitulieren in so einer Situation meist und ohne Wörterbuch versandet dann das Gespräch.
Mythos 4: Eine Fremdsprache als Erwachsener zu lernen ist teuer, langwierig, unmöglich
Erinnert ihr euch an Heinrich Schliemann? Der Entdecker von Troja war ein richtiges Sprachgenie. Als Neunzehnjähriger wurde er von holländischen Fischern vor der Küste gerettet, nachdem sein Schiff im Sturm gesunken war. Er war nun in Holland auf sich allein gestellt und schlug sich als Außenhandelskaufmann durch, wobei er schnell Englisch und Holländisch lernen musste. Wahrscheinlich hat ihn das auf den Geschmack gebracht und seinen Ehrgeiz entfacht. Für ihn war es absolut überlebensnotwendig und es hob ihn von seinen Konkurrenten ab. Sicher war er dazu noch ein äußerst begabter Mensch. Innerhalb sechs Wochen erlernte er Spanisch, Italienisch und Russisch. In späteren Jahren brachte er sich noch dazu Chinesisch, Polnisch, Slowenisch, Dänisch, Schwedisch, Alt- und Neugriechisch, Latein, Arabisch und Hebräisch bei. Mindestens acht Sprachen konnte er lesen und schreiben. In anderen Quellen ist von dreizehn oder sogar 35 Sprachen die Rede.
Ich dagegen habe Jahre gebraucht, um Russisch zu lernen! Allerdings wurde ich erst gegen meinen Willen unterrichtet (in der Schule in der DDR) und an der Uni dann in der Grammatik-Übersetzungsmethode, der ungeeignetsten Methode überhaupt, eine Sprache schnell und gut zu lernen! Die einfache Wahrheit – siehe Schliemann – ist: je größer deine Motivation und deine Aufnahmebereitschaft, desto schneller wirst du – egal in welchem Alter – eine Sprache erlernen können. Je enger das Erlernen der Sprache an deine Lebensziele geknüpft ist, desto besser und schneller lernst du. Das sollten wir uns zunutze machen, auch wenn wir keine Sprachgenies sind!