Rom Petersplatz Azzurro Diary

So sind sie – Gebrauchsanweisung für Italiener

Martin Solly hat einen – mir immerhin gut bekannten – Fehler gemacht. „Moglie e buoi dei paesi tuoi.“ (“Frauen und Ochsen such dir in deinem eigenen Dorf.“) Für die Leser seiner humorig unterhaltsamen Gebrauchsanweisung für Italiener ist er jedoch ein Qualitätskriterium. Der Autor weiß, von wem er spricht. Steckt er doch mit seiner ganzen Existenz und Familie in diesem Land drin.

Die Italiener gibt es nicht!

Was ist von einem Buch zu erwarten, dass sich So sind sie, die Italiener* nennt? Gleich am Beginn steht sie, die wichtigste Information (Kapitel „Nationalismus und Identität“), deren Bedeutung kaum übertrieben werden kann. Die Italiener sind eine Ansammlung von Volksgruppen und betrachteten sich zuerst immer als Römer, Sizilianer oder Florentiner und erst danach als Italiener. Wer dazu neigt, Bücher querbeet zu lesen oder interessante Themen herauszupicken, der hätte mal eben die Versuchsanordnung verpasst.

Lieber Reise Know-How Verlag, wie wäre es mit den Titeln, „So sind sie die Sizilianer“ oder „So sind sie die Piemontesen“? Damit würde die Erkenntnis in die Tat umgesetzt und weitere witzige Bände könnten geschrieben werden 😉

Ironie – lost in translation?

Die Reihe „Fremdenversteher“ (www.fremdenversteher.de) beruht auf der im Original englischsprachigen Reihe Xenophobe’s® Guides, die seit 1994 existiert und mittlerweile dreißig Titel umfasst. Ich habe bisher keinen der Originaltitel gelesen. Aber ich habe eine Vermutung: Ironie und trockener Humor des Originals lassen sich nicht komplett in eine Übersetzung überführen. Das wird bereits am Titel der Reihe deutlich. Das griechische ‚xenophob‘ übersetzen wir mit ‚fremdenfeindlich‘ ins Deutsche. Leider keineswegs komisch. Auch nicht in der Selbstbezeichnung. Im Englischen hingegen steckt feine Selbstironie darin. ‚Fremdenversteher‘ ist ein guter Kompromiss, aber eben ohne Ironie!

„Eine kleine Warnung vorab: Die Italiener sind manchmal etwas merkwürdig.“ Hier ist es wieder, das Augenzwinkern des Originals. Wer dieses Augenzwinkern bei der Lektüre immer vor Augen hat, findet vergnügliche Details, die manche Frage klären oder aufwerfen kann. Manche Antwort andeutet, um sogleich von eigenen Erfahrungen widerlegt zu werden.

Mein Italien – dein Italien

Überraschende Einsichten in den Alltag anderer Länder bieten, unterhaltsam eine Nation vorstellen, Sympathie wecken – alles mit Mut zur Lücke. Auf hundert und ein paar Seiten geht es in der Tat nicht ohne den Mut zur Lücke. Wie sich Italien dem geneigten Leser präsentiert hat, hängt ganz stark davon ab, wo in Italien man bisher gewesen ist. Zwischen Trentino und Kampanien liegen Welten.

Apropos von eigenen Erfahrungen widerlegte Informationen. Wer einmal in Neapel Auto gefahren ist, weiß, dass nicht die Ampeln, sondern die sich unberechenbar und schnell durch den Verkehr bewegenden Mopeds das Problem sind. Von wegen Fitnessmuffel! Wer einmal in Norditalien Auto gefahren ist, hat sicher schon die Rennradfahrer jeglichen Alters bewundert, die bei sonnigem Wetter in voller Montur mit stoischer Ruhe und Ausdauer auf viel befahrenen Straßen ihrem Sport nachgehen. So werden einem auf Wanderwegen in den Bergen viele Trailrunner begegnen. Dass mir gleich Gegenbeispiele einfallen, spricht nicht gegen das Buch, das meine Anregung war!

Im liebevoll geschriebenen Kapitel zur Kulinarik zeigt sich die Sympathie des Autors zu seiner zweiten Heimat ganz besonders. Hier ist die distanzierte Beobachtung der Bewunderung gewichen. Kein Wunder nach den vielen in der italienischen Familie genossenen Mahlzeiten (der Autor lebt in Italien).

Ein Körnchen Wahrheit – aber die Wirklichkeit ist bunter!

In Zeiten der Fast-Food-Onlinelektüre (kurze Texthappen) entgehen uns viele Informationen, wenn wir sie nicht zu finden wissen. Wer versteht die Algorithmen, die die Suchmaschinen im Internet und damit unsere freiwillige Wissensaufnahme steuern? Sind wir noch in der Lage, kritisch nach Fakten, Belegen und Gegenbeispielen zu suchen? Oder Stereotypen zu hinterfragen? Welche Enttäuschung, wenn sich herausstellt, dass negative Stereotypen auf einem Körnchen Wahrheit beruhen. Welche Genugtuung, wenn ein interessantes Gegenbeispiel das Mosaik der bunten Wahrheit vervollständigt. Über Stereotype lachen? Das fällt leichter, wenn ich die Wirklichkeit kenne oder bereit bin, sie zu entdecken.

Unterhaltsam — interessanter im Tandem!

Bei mir ist es so. Ich nehme ganz gern mal rituell die Gegenposition ein. Deshalb habe ich mich bei der Lektüre von „So sind sie, die Italiener“ oft beim Versuch ertappt, meine Nachbarn, Freunde und Bekannten rituell von den beschriebenen Eigenschaften ausnehmen zu wollen.

Die Italiener als lächerliche Fitnessmuffel? Stellt euch mal an die Seepromenade und zählt die Jogger hier! Tricksereien? Die Italiener haben doch selbst die Nase voll von den furbi! McDonalds in Italien? Für Kindergeburtstage im Winter durchaus beliebt. Eben mein persönliches Italien! Für viele Stereotype fallen mir gleich Gegenbeispiele ein. Damit schrumpfen Stereotype zu dem, was sie sind. Extreme Verkürzungen und Verallgemeinerungen der Wirklichkeit.

Natürlich macht es Spaß, einmal zu lästern! Es gibt wirklich Dinge, die die Italiener nicht können, wie ganz normal und sicher Auto zu fahren! (Haha, erwischt!) Solange es nicht zum Dauerzustand wird.

Die schönsten Kapitel des Buches sind die zur Sprache, zur Kulinarik und zur Bildung. Darum: lest und lacht über die Italiener (und fasst euch an die eigene Nase), aber am besten im Tandem. Mit dem großen, drei mal so umfangreichen Bruder der Fremdversteher-Reihe: Reise Know-How KulturSchock Italien: Alltagskultur, Traditionen, Verhaltensregeln, …*, ebenfalls aus dem Hause Reise Know-How.

Bibliografie

Martin Solly: So sind sie, die Italiener: Die Fremdenversteher von Reise Know-How* Erschienen im Reise Know-How Verlag. 1. Auflage 2017. 108 Seiten. ISBN 978-3-8317-2876-3. 8,90 €.

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Kategorien Leben & bloggen in Italien

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Stefanie lebt mit italienischer Familie am Lago Maggiore, im Norden des Piemont. Einen Ort entdecken heißt alle Sinne nutzen – sehen, hören, zuhören, berühren, schmecken. Die Sprache sprechen kann Wunder bewirken oder ein Tanz zu lokaler Musik!

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